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Eintritt frei!

Beginner

Zeitenwende ist ein Begriff, der aktuell von vielen Seiten zu hören ist. In der Tat gibt es Anzeichen für tiefgreifende Einschnitte. Wahrscheinlich stehen wir wirklich an einem Wendepunkt, an dem sich vieles ändert. Der Kulturtheoretiker Robert Misik hat dafür den Ausdruck „das große Beginnergefühl“ gewählt, so auch der Titel seines neuesten Buchs. Diesen Ausdruck hat er nicht selbst erfunden, sondern bei Bertold Brecht entdeckt, der mitten im Zweiten Weltkrieg in sein Arbeitstagebuch schreibt: „Es braucht die große tabula rasa, auf der man spielt, das beginnergefühl“. Brecht kreierte also dieses Wort „Beginnergefühl“, das eine Zeit der absoluten Krise als Möglichkeit von Anfängen umdeutet. Altes wird über Bord geworden und emphatisch Neues begrüßt. An einer Zeitwende zu stehen kann auch bedeuten, nicht nur an grundlegende soziale Veränderungen zu glauben, sondern aus diesem Gefühl Tat werden zu lassen. Auch den Begriff „Neustart“ kann man mit einer Zeitenwende in Verbindung bringen. Dieser soll vor allem Optimismus für die Zukunft vermitteln, auch jetzt, für eine Zeit nach der Corona-Pandemie. Die „Neustart“-Fördergelder beispielsweise dienen dabei weniger einem Neubeginn, als der Aufrechterhaltung des vorhandenen Kulturbetriebs.
Natürlich kann man nicht alles selbst in die richtigen Wege lenken. Das „Beginnergefühl“ meint auch das betörende Gefühl, dabei zu sein, wenn etwas grundlegend Neues entsteht. Es genügt meist die Zeug*innenschaft, direkt miterleben zu können, dass etwas Bedeutsames und für alle Kostbares beginnt. Akteur*innen und Zuschauer*innen werden eins im Wunsch nach dem innovativen Geschehen. Ein magischer Moment. Diesen Start gemeinsamen zu erleben, ist ein tolles Gefühl, eine hoffnungsvolle und eine optimistische Geste.

Der Kunstverein Wolfsburg wählt für sein Programm im Jahr 2023 Ausstellungsthemen, die für eine Zeitwende stehen, und Künstler*innen, Beginner*innen, die für einen Neubeginn eintreten.

Saving. Die Kunst des Sparens und Bewahrens
Viele Menschen, die in die Zukunft blickten, warnten schon seit langem vor einem permanenten Wachstum und übermäßigen Konsum. Es bedurfte aber erst dem Ukraine-Krieg, damit das Sparen, insbesondere das Energiesparen, zur staatlichen Pflicht erhoben wurde. Zahlreiche öffentliche Gebäude und Aktivitäten müssen in den kommenden Monaten mit erheblichen Einschränkungen in dieser Richtung rechnen. Die Ausstellung Saving präsentiert Künstler*innen, die sich nicht erst seit heute mit Sparsamkeit in den unterschiedlichsten Facetten beschäftigen.

Coming Home. Das Ende postkolonialer Phantasmen
Auch für Kunstwerke, die aus den früheren Kolonien stammen, hat sich grundsätzlich etwas geändert. Jetzt geht der Weg in die andere Richtung, zurück zu den Ursprungsländern. In Frankreich und vor kurzem auch in Deutschland hat dieser Prozess bereits begonnen. Zwanzig Benin-Bronzen brachten Annalena Baerbock und Claudia Roth im Dezember 2022 in ihre Heimat Nigeria zurück. Die Restitution ist längst überfällig, aber immerhin folgen erstmals Taten nach einer langen Phase unverbindlicher Aussagen. Coming home. Das Ende postkolonialer Phantasmen bezieht sich auf diese Zeitwende, die für viele Menschen auch im Denken über diese Kulturgüter in den letzten Jahren geschieht. Museen für außereuropäische Kunst betrachtet man heute mit anderen Augen. Die Herkunft vieler Sammlungsstücke wird hinterfragt. In der Ausstellung im Kunstverein Wolfsburg werden künstlerischen Positionen präsentiert, die den kulturellen Kolonialismus kritisch reflektieren.

Digital Dada
Auch die Digital Art verändert gegenwärtig ihren Blick. Sie will nicht mehr nur die ästhetischen Potentiale neuer Technologien erkunden, sondern diese nutzen, um tradierte ästhetische Vorstellungen zu überprüfen und dabei subversiv zu operieren. Der Dadaismus war eine Kunstrichtung des 20. Jahrhunderts, welche allgemeine Konventionen der Kunst auf den Kopf stellte. Sie markierte einen Neubeginn in viele Richtungen, wie Objektkunst, Ready-made, Fotocollage, Lautgedicht etc. Inzwischen ist die Arbeit mit digitalen Medien ebenfalls an einen Punkt gelangt, der ein Umdenken markiert und frühere Vorstellungen in Frage stellt. Digital Dada versammelt künstlerische Werke dieser Tendenz.

Anna Witt
Die Künstlerin Anna Witt beschäftigt sich mit sozialen Verhaltensweisen in einer Unmittelbarkeit und Intensität, die kaum mit anderen künstlerischen Positionen zu vergleichen ist. In der Videoinstallation „Radikal Denken“ animiert sie z. B. Menschen in einer Einkaufspassage, einen radikalen Gedanken zu äußern. Ein generelles Umdenken könnte man dementsprechend als eine Intention ihrer künstlerischen Praxis bezeichnen. Ihr widmet der Kunstverein Wolfsburg in diesem Jahr eine Einzelausstellung.