In Wolfsburg 1957 und 1963 geboren sind die Brüder Max und Wolfgang Müller heute international bekannte Künstler und Musiker. Sie gelten als Stars der Berliner Undergroundszene. Jetzt, ein Vierteljahrhundert nachdem sie die Stadt verlassen haben, scheint es uns an der Zeit zu sein, sich ihrer zu erinnern und damit ein wichtiges Kapitel der Kunst- und Musikgeschichte Wolfsburgs zu schreiben. Dabei wollen wir in der Ausstellung Welcome home Max und Wolfgang Müller nicht nur den Anfängen ihrer kulturellen Produktion, wie beispielsweise der Spickzettelsammlung des Schülers Wolfgang Müller nachgehen, sondern die vielfältige kulturelle Produktion der beiden in ihrer Gesamtheit bis in die Gegenwart darstellen. Nur gelegentlich arbeiten sie zusammen, immer wieder finden sich jedoch in ihren Produktionen Berührungspunkte. Diese legen neben der gemeinsamen Herkunft Wolfsburg die Konzeption zu dieser ersten gemeinsamen Ausstellung der beiden Brüder nahe.
Im Umfeld von New Wave und Punk mit seinem proklamierten Do-It-Yourself-Prinzip entstand die interdisziplinäre Bewegung der „Genialen Dilletanten“, die Wolfgang und Max Müller maßgeblich prägten. Um diesen bewusst fehlerhaft geschriebenen Ausdruck (Dilletanten mit Doppel-l) versammelte sich in Berlin eine Gruppe von Künstlern, Musikern, Literaten und Filmemacher. Die Idee des „Genialen Dilletanten“ manifestierte sich vor allem in einem „Festival genialer Dilletanten“ am 4.9.1981 im Tempodrom in Berlin (u.a. mit Einstürzende Neubauten, Die Tödliche Doris, Gudrun Gut) und einem von Wolfgang Müller 1982 im Merve Verlag herausgegebenen Buch (u.a. mit Texten von Frieder Butzmann, Blixa Bargeld und Klaus Hoffmann). Im einleitenden Text erklärt Wolfgang Müller, dass er als Genialität die „intensive Intensität bei der Auseinandersetzung mit dem Stoff“ versteht. Fehler gibt es dabei nicht: „Das Ver-spielen, das Ver-schreiben als positiver Wert, als Möglichkeit zu neuen, noch unbekannten Ausdrucksformen zu gelangen, soll möglichst universell angedeutet werden.“ Bis heute wird dieser Gedanke in der Popmusik verfolgt, wie z.B. der Titel der LP von Knarf Rellöm ISM „Fehler is King“ von 1999 zeigt. Musikalisch gesehen bedeutete dies in jenen Tagen vor allem: „Lärm und Krach kann jeder machen, dazu braucht man keine Digital-Aufnahmetechnik oder ein 36 Spur Studio mit tausend Raffinessen.“
Wolfgang Müller ging nach seiner Schulzeit in Wolfsburg zum Kunststudium nach Berlin. Noch auf der Hochschule der Künste gründete er zusammen mit seinen Kommilitonen Nikolaus Utermöhlen und Chris Dreier 1980 die Gruppe Die Tödliche Doris. 1982 wurde Käthe Kruse neben Utermöhlen und Müller drittes Mitglied dieser Formation. 1982 erschien die erste LP „Die Tödliche Doris“. In der Zeit ihrer Existenz veröffentlichte die Gruppe zahlreiche Kassetten und LPs in Auflagen von 20 bis 3000 Stück. Zuletzt erschien das Album „Fallersleben“, die das erste Live-Konzert 1980 in Fallersleben/ Wolfsburg dokumentiert. Auch der Musikproduktion lagen künstlerische Konzepte zugrunde, wie z.B. „Die Chöre und Soli-Box“ (1984). Die Stücke waren auf acht Miniphonplatten gepresst, die sich in einer Schachtel zusammen mit einem batteriebetriebenen Abspielgerät und Begleitbuch befanden. Die Tödliche Doris war Teilnehmer der documenta VIII und wurde zu Auftritten und Filmvorführungen in das MoMA in New York und das Musée d’Art Moderne Paris eingeladen. Nach ihrer Auflösung 1987 erschienen weiterhin Tonträger auf ihrem Label „Die Schule der Tödlichen Doris“. Ein kontinuierliches Motiv der Produktion der Tödlichen Doris war die Auseinandersetzung mit dem Thema Identität, die schon in der Erfindung der Kunstfigur Doris zum Ausdruck kommt. Ein Frühwerk der Gruppe bildet „Material für die Nachkriegszeit“, das im Gründungsjahr in Kiel, Düsseldorf und Wolfsburg ausgestellt wurde. Es befindet sich heute in der Sammlung der Städtischen Galerie Wolfsburg und wird nach mehr als 25 Jahren wieder öffentlich präsentiert.
Der Einzelkünstler Wolfgang Müller behält in seinem weiteren Werk die Vielfältigkeit der Gruppe Die Tödlichen Doris bei. Seit 1990 beschäftigt er sich verstärkt mit Island und seiner Kultur und nennt sich Elfenbeauftragter. 1998 gründete er nach der Auflösung des staatlichen Goethe-Instituts in Reykjavik das erste private Goethe-Institut, das er 2002 nach Drohungen der Rechtsabteilung des Goethe-Institut München in Walther von Goethe Foundation umbenennen musste. Als Hörspiel des Bayerischen Rundfunks produzierte er 2006 die Hommage „Das Dieter Roth Orchester spielt kleine Wolken, typische Scheiße und nie gehörte Musik“.
Max Müller ist in erster Line als Musiker, insbesondere als Sänger der Band Mutter bekannt. Zuvor hatte er 1980 die Punkband The Honkas und 1982 Campingsex gegründet. Die Band Mutter bewegte sich in den letzten zwanzig Jahren mit Platten wie „Europa gegen Amerika“ und „Hauptsache Musik“ nah am Welterfolg. 2005 wurde mit dem Film „Wir waren niemals hier“ (Regie: Antonia Ganz) ein Portrait der Band auf der Berlinale präsentiert. Parallel arbeitet er außerdem als Zeichner und Maler (1981 war er kurzzeitiges nach seinem Umzug von Wolfsburg nach Berlin Mitglied der Gruppe Die Tödliche Doris), als Komponist für Film (Jörg Buttgereit) und Theater (Bochumer Schauspielhaus), sowie als Autor. 2001 erschien sein Buch „Musikcafe Wolfsburg“, eine Sammlung von Kurzgeschichten, illustriert mit eigenen Zeichnungen.
In der Ausstellung Welcome home Max und Wolfgang Müller werden von Max Müller Zeichnungen, Gemälde, Bücher und Tonträger präsentiert. Von Wolfgang Müller sind Werke als Einzelkünstler und als Mitglied von Die Tödliche Doris zu sehen.