Mit Hilfe einer selbstgebauten Lochkamera aus Karton, Mattscheibe und Lupe sind Aufnahmen entstanden, auf denen die Schüler*innen die Möglichkeit hatten über die Pose, Requisiten und Hintergrund ihr ICH darzustellen.
Für die Aufnahmen wurde die Mattscheibe der Lochkamera digital abfotografiert, für eine einheitliche Lichtstimmung wurde mit Blitzlicht gearbeitet und ein grüner Hintergrund benutzt.
Die Bilder wurden auf Transparentfolie gedruckt und in Holzbilderrahmen eingepasst.
Bei individuellen Hintergründen wurden diese als Ausdruck hinter den Transparentdruck gelegt, die Silhouetten der Personen wurden in diesem Fall aus Papier ausgeschnitten und passgenau zwischen den vorderen Foliendruck und den Hintergrund gelegt um ein Durchscheinen des Hintergrunds zu verhindern. Im Rahmen der Vermittlungsarbeit zu Snap Your Identity übernahm Lokale Liaison die Erstellung der Porträtaufnahmen, die in der Ausstellung Freundschaftstempel im Raum für Freunde des Kunstvereins präsentiert wurden.
Christian Heuer, betreuender Lehrer des Projekts:
Überall Gesichter. Mit dem Befund, dass wir omnipräsent von Gesichtern umgeben sind, die uns dazu auffordern, etwas in ihnen zu erkennen, beginnt der Schweizer Historiker Valentin Groebner seine Studie „Ich-Plakate. Eine Geschichte des Gesichts als Aufmerksamkeitsmaschine“ (2015). Zu den Gesichtern auf Werbeplakaten und -prospekten gesellen sich die zahllosen Gesichter in den sozialen Medien, die unentwegt sagen: Sieh mich an! Lies mein Gesicht! Erkenne mich! Ich könnte dein Freund, dein Partner, dein Genosse sein! Die ungezählten Bilder, denen wir begegnen, sind zweierlei: Sie repräsentieren erstens spätestens seit der Renaissance die Identität einer Persönlichkeit, die sich zwar nicht im Gesicht erschöpft, aber zumindest im Wesentlichen ausdrückt. Zweitens suchen die Porträts den Kontakt mit uns: Das, was sie erzählen, will Sympathie erzeugen, Verbindungen schaffen, nach Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten suchen. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert und einer emphatischen Idee von Individualität ist das Porträt für jeden Menschen, der sein „Ich“ denkt, auch ein wichtiger Teil der Identität. Im Gleim-Haus in Halberstadt begegneten die Schüler*innen des 11. Jahrgangs des Theodor-Heuss-Gymnasiums zahlreichen Porträts im sogenannten „Freundschaftstempel“: Der Schriftsteller Johann Ludwig Wilhelm Gleim versammelte in seinem Privathaus in unmittelbarer Nachbarschaft zum Halberstädter Dom eine große Kollektion von Porträtgemälden seiner Freunde, zu denen zahlreiche der wichtigsten Gelehrten und Schriftsteller der Epoche der Aufklärung gehören, mit denen Gleim in Kontakt stand. Das Literaturmuseum, das diese Sammlung betreut, macht Schülergruppe mit diesem Freundeskreis in dem Workshop „Gleim-net. Social Networking im 18. Jahrhundert“ bekannt, und tatsächlich überraschen die Parallelen zwischen Gleims Fähigkeit, ein weit gespanntes Netzwerk von Korrespondenzen, Bekanntschaften und Freundschaften zu unterhalten, und den Chancen der Vernetzung von Menschen, die soziale Medien bieten. In Gleims Welt war dieses Netzwerk ein Teil der aufklärerischen Utopie, in der „Gelehrtenrepublik“ am Fortschritt von Wissenschaft und den Idealen der Selbstbestimmung, der Humanität, der Freiheit und der Brüderlichkeit zu partizipieren. Die Entstehung des Internets, das sich 2019 zum 50. Mal jährte, atmete auch noch diesen Geist des Fortschritts, als zwei Rechner in Los Angeles und San Francisco vernetzt wurden; spätestens seit dem Film „The Social Network“ (David Cronenberg, 2010) wissen wir aber auch, dass nicht alle sozialen Netzwerke diesen Idealen der Aufklärung, die das Fundament unserer Werteordnung bilden, verpflichtet sind – die Freude, an einer großen Gemeinschaft teilzuhaben und sehen und gesehen zu werden, ist aber durch alle Zeiten die gleiche. Die Schüler*innen knüpften an den Gedanken des „Freundschaftstempels“ an, überführten ihn aber in das Hier und Jetzt der digitalen Welt: Während zu Gleims Zeiten die Lehre der Physiognomie noch der Überzeugung sein konnte, dass das Gesicht das „Ich“ nicht nur repräsentiert, sondern sich dieses darin ablesbar ausdrückt, sind wir heute skeptischer: Wie jüngst Wolfgang Ullrich in seinem Essay „Selfies“ (2019) in der Reihe „Digitale Bildkulturen“ aufzeigte, ähnelt die Selbstdarstellung in der digitalen Welt eher dem Rollenspiel einer Zeit (genauer: dem Barock), die noch nicht auf einer Identität insistierte, sondern den Menschen in seinen jeweiligen sozialen Kontexten auch unterschiedlich „auftreten“ (wirklich im theatralischen Sinne) ließ und damit einer Welt- und Gesellschaftsordnung, die die Aufklärer eigentlich überwinden wollten und dem sie „Authentizität“ und den „unverfälschten“ Ausdruck des Individuums entgegen stellten – Ideen, denen wir auch eher skeptisch begegnen, wissen wir doch: Wir sind viele. Zudem sind die Bilder in den sozialen Netzwerken nicht von Bestand, sie fallen in der Flut der Bildproduktion dem Vergessen anheim: Nichts ist so dated wie das Selfie von Gestern. Die Schüler*innen des Workshops wollten das Beste aus beiden Welten: Nicht den austauschbaren schnellen Schuss, sondern eine Anmutung von Ewigkeit in der Optik eines Ölgemäldes. Sie wollten das souveräne Spiel mit Rollen, einzelnen Facetten der Persönlichkeit bis hin zur Maskerade, aber auch den unverstellten Ausdruck des Gesichts, das sagt: Hier bin ICH.