Ein radikales Umdenken gegenüber Kulturgütern aus ehemaligen Kolonien ist in den letzten Jahren zu beobachten. Es führte u. a. am 17.12.2020 in Frankreich zu einem neuen Gesetz, dass die Rückgabe von Raubgut aus französischen Sammlungen an die Republiken Benin und Senegal ermöglicht. In Frankreich und vor kurzem auch in Deutschland hat der Prozess der Restitution bereits begonnen. Zwanzig Benin-Bronzen brachten Außenministerin Annalena Baerbock und Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth im Dezember 2022 in ihre Heimat Nigeria zurück. Die Restitution ist längst überfällig, aber immerhin folgen erstmals Taten nach einer langen Phase ablehnender oder unverbindlicher Äußerungen. Die beginnende Restitution bildet den Anlass für das Ausstellungsprojekt Coming Home. Das Ende kolonialer Phantasmen.
Die Eröffnung des Humboldt-Forum in Berlin im Jahr 2021, in dem sich das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst befindet, war mit Protesten gegenüber der Aufbewahrung von Raubkunst verbunden und löst bis heute heftige Debatten über den Umgang mit nach Deutschland verfrachteten Kulturgütern aus der Zeit der Kolonialgeschichte aus. Die Raubkunst-Debatte hat das Verhältnis zwischen Europäer*innen und den Werken aus dem globalen Süden grundlegend verändert. Das Ende kolonialer Phantasmen scheint unumkehrbar. Die Rezeption dieser Werke kann nicht mehr ohne den Kontext ihrer Beschaffung betrachtet werden.
Immer mehr bildende Künstler*innen beschäftigen sich inzwischen mit den kolonialen Interessen und der kulturellen Überheblichkeit der europäischen Staaten. Einzelne Aspekte der kolonialen kulturellen Ausbeutung werden in der Ausstellung „Coming home. Das Ende kolonialer Phantasmen“ thematisiert.
Nick Schamborski, Preisträger*in des Bundespreis für Kunststudierende 2021, weist in einem Kurzfilm auf das Kolonialdenkmal in Braunschweig hin, das kommentarlos in der Stadt existiert, obwohl es in den 1920er Jahren errichtet wurde, um für die Wiedererlangung der deutschen Kolonien zu plädieren. Schamborski testet in einem im Tutorial-Stil gedrehten Video vermeintlich eine neue Fotobearbeitungs-App aus, um mögliche Veränderungen an dem Monument vorzunehmen.
Die koreanische Künstlerin Hyejeong Yun beschäftigt sich mit der Kolonialisierungsgeschichte Asiens. Ausgehend von einem gefundenen Foto einer Elefantendressur in London geht sie der Frage nach, wie Elefanten nach Großbritannien kamen. Mit dem daraus entstanden Video entwirft die Künstlerin eine Kolonialgeschichte des British Empire, in der auch die Faszination an „exotischen“ Tieren eine Rolle spielt.
Der nigerianische Künstler Gerald Chukwuma verwendet weggeworfene Dosen und Holzpaneele, die er mosaikartig mit zerschnittenem Metall bearbeitet. „The Gentleman’s Story“ bezieht sich auf eine alte Geschichte aus Nigeria, in der die Einwohner*innen auf ein Schiff verladen und versklavt werden sollten, sich jedoch allesamt für den Freitod auf offenem Meer entschieden. Seine Arbeiten „Oru Oyibo“ und „After“ gehören zur Werkgruppe „Ikwokirikwo“, mit der an eine zeremonielle Tanzperformance der Igbo erinnert wird, die in Nigeria allmählich aus dem Gedächtnis verschwindet.
Der Hamburger Performancekünstler Holger Steen verwendet Briefmarken der früheren deutschen Kolonien, um sich in dem Projekt „Edvin Adlers Kleine Philatelie“ (Performance und Ausstellung) mit den Hintergründen dieser Phase der Ausbeutung, Misshandlung und Ermordung von Menschen in den deutschen Kolonien künstlerisch auseinanderzusetzen.