Jahresprogramm 2024
Ent-Spalten ist eine Wortkonstruktion, die aus Dringlichkeiten der Gegenwart entstanden ist. Damit ist die Deeskalation von Konflikten, das Entgegenwirken der zunehmenden Polarisierung in unserer Gesellschaft gemeint. Denn wir begegnen dem Phänomen einer sogenannten gespaltenen Gesellschaft in zahlreichen Nationen. In den USA und in Großbritannien offenbarten Wahlen die Teilung der Gesellschaft in zwei sehr unterschiedliche Lager. Aber auch in Polen, und immer wieder bezogen auf Frankreich und Deutschland wird von einer gespaltenen Gesellschaft gesprochen. Häufig wird diese Konfrontation von einer anti-demokratischen Tendenz unterstützt, die per se eine Vielfalt von Meinungen ablehnt. Nicht selten sind es religiöse Vorstellungen, die zu einer Polarisierung führen. Die Anhänger jüdisch-orthodoxer, christlich-fundamentalistischer oder radikal islamistischer Dogmen stehen sich den Befürwortern einer demokratisch legitimierten staatlichen Gesetzgebung gegenüber, im Sinne von: die Gesetze Gottes gegen juristisches Reglement. Eine Studie der Universität Münster stellte die These auf, dass wir heute häufig zwei verhärtete Blöcke registrieren können. Wir können unterscheiden in die Verteidiger, die sich eine einheitlich ethnische und religiöse Bevölkerung wünschen, und in die Entdecker, die keine Angst vor Flüchtlingen haben und mit der derzeitigen Demokratie zufrieden sind. Angefeuert wird die Spaltung von Vorurteilen über das „andere Lager“. Die Spaltung hat nicht selten mit wechselseitiger Unkenntnis zu tun, oder besser gesagt mit irrtümlichen Bescheidwissen. Konflikte werden in Form von Komplexitätsreduktion ausgetragen. Man setzt auf übersichtliche Verhältnisse, d. h. auf relativ undifferenzierte Zustände mit einer entsprechend geringen Entscheidungslast.
Aber nicht jede soziale Auseinandersetzung führt zu einer Polarisierung. Manchmal handelt es sich nur um Schlagzeilen von aufgebauschten Auseinandersetzungen. Es gibt gesellschaftliche Konflikte, die die Gesellschaft nicht spalten und Bestandteil einer demokratischen Debattenkultur sind, und es gibt welche, die sie spalten, etwa wenn sie die Form von (Bürger-)Kriegen annehmen. Leider gibt es sogar in Deutschland Gruppen, die genau das herbeiführen wollen.
Mit dem Jahresthema Ent-Spalten plädiert der Kunstverein Wolfsburg in seinem Ausstellungsprogramm, über die Spaltung sozialer Gemeinschaften zu reflektieren und sich angesichts globaler Krisen wie Klimakatastrophe und Pandemien des Gemeinsamen zu besinnen: den besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten der Menschen und ihrer gemeinsamen Probleme.
In der Ausstellung Erstaunliche Entwicklungen werden evolutionäre Prozesse thematisiert, die die ganze Menschheit betreffen. Ein ähnlicher Ansatz liegt der Ausstellung künstlich zugrunde, die nach dem Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit im menschlichen Leben unter besonderer Einbeziehung des Aspekts der Künstlichen Intelligenz fragt. In einer Einzelausstellung widmet sich die Hamburger Künstlerin Franziska Nast wenig beachteten Darstellungspraktiken, die aber für weite Teile der Bevölkerung relevant sind. Verbinden heißt das Wettbewerbsthema des lokalen Kunstpreises arti, den der Kunstverein Wolfsburg alle zwei Jahre vergibt – ein Thema, das hybride Strukturen und Multimedialität, aber auch inhaltliche Aussagen wie Solidarität oder Deeskalation miteinbezieht.