Der Titel der Ausstellung lehnt sich an die bekannte Graphik-Novel V für Vendetta von Alan Moore und David Lloyd an, aus dem Anonymous die Verwendung der Guy Fawkes-Maske entlehnt hat. Die Frage nach der Verantwortlichkeit erscheint als eine der drängendsten in Bezug auf die Digitalisierung. Die Komplexität von Handlungsauswirkungen erreicht durch die technischen Möglichkeiten und die globale Vernetzung im 21. Jahrhundert noch einmal eine ganz andere Dimension. Die Ausstellung „V für Verantwortung“, zeigt daher künstlerische Positionen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen.
Die Auseinandersetzung mit der Definition und den ethischen Voraussetzungen von Verantwortung geht weit zurück, muss aber immer im historischen Kontext gesehen werden. So hatte die beginnende Ausbildung einer globalisierten, transnationalen Gesellschaft Max Weber bereits 1919 zu einer Differenzierung von „Gesinnungsethik“ und „Verantwortungsethik“ veranlasst. Gesinnungsethik basiertdarauf, eine Entscheidung abhängig von der Reinheit der dahinterliegenden Absicht und der Orientierung an einem äußeren Regelwerk zu treffen. Die Verantwortungsethik dagegen bezieht Folgen- und Nebenfolgeneffekte in die Beurteilung einer Entscheidung mit ein. Dies können intendierte Folgen, aber auch sogenannte Kollateralschäden sein, die durch die getroffene Entscheidung mit ausgelöst werden. In den immer komplexer werdenden Abläufen heutiger Systeme und Prozesse entstehen zum Teil mehr Nebenfolgen als intendierte Folgen.
Der Begriff der Verantwortung ist daher besonders in komplexen Netzwerken, wie sie durch die technischen Voraussetzungen digitaler Medien geschaffen wurden, zentral, wie auch die Wissenschaftlerin Danah Boyd betont. In solchen Netzwerken zerfällt die Verantwortung in eine undurchschaubare Anzahl von Knotenpunkten aus verschiedenen Akteur*innen, die unterschiedliche Technologien verwenden. Boyd sieht in diesem „Verstärkungsökosystem“ eine neue Form von Bürokratie. Jede*r fühlt sich nur als Teil des Systems und damit nicht persönlich und moralisch verpflichtet. Die Macht liegt scheinbar im System selber. Es kommt zu einer Verantwortungsdiffusion. Eine Besonderheit in dieser neuen Bürokratieform ist jedoch, dass die einzelnen „Verstärker“ sehr divers sein können: Ein*e Blogger*in oder ein*e Jugendliche*r kann aufgrund seines*ihres Wissens über Technologie und die Kommunikationsabläufe im Netz einen ebenso großen Einfluss erlangen wie ein Unternehmen oder ein*e Politiker*in.
Damit bedeutet die beschriebene Struktur auch, dass die Einzelperson, sich ihrer Rolle als Stellschraube innerhalb dieses Netzwerkes bewusst werden und den weiteren Verlauf beeinflussen kann. Dies kann eine ethische oder ökologische Verantwortung sein, die ein*e Entwickler*in übernimmt oder z. B. ein*e Whistleblower*in. Der Kunst kommt hierbei auch eine immer stärkere Bedeutung zu. Künstler*innen werden zu Aktivist*innen und wenden diverse technische Möglichkeiten an und eignen sich somit einen Teil der Verantwortung im Informations-Ökosystem wieder an. Die Ausstellung möchte sich dem Umgang mit ethischen Begriffen sowie der Darstellbarkeit unendlich vernetzter Strukturen und utopischen, spekulativen Szenarien aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz annehmen.
Das Künstler*innenduo Banz & Bowinkel zeigt ein Video aus Schnipseln von Vorträgen beispielsweise der Singularity School im Silicon Valley. Sie handeln von exponentiellem Wachstum, wie dem Zeitpunkt an dem sich die künstlichen Intelligenzen so rasch selbst optimieren werden, dass sie den Menschen obsolet machen könnte. Die vier Arbeiten von Stefan Hurtig hinterfragen die Vereinnahmung von ethischen Begriffen wie Glück, Moral, Verantwortung oder Kreativität durch kapitalistische Mechanismen. Jan Neukirchen visualisiert Daten und macht damit die Struktur von Kommentaren auf bekannten Plattformen wie Reddit deutlich. Sie verdeutlichen wie ein Gesprächs-Hauptstrang teils völlig unvorhergesehene Nebenstränge „auslösen“ kann, was den Begriff der Verantwortung noch einmal anders thematisiert. Xin Xin/Sanglim Han/Jen Agosta zeigen filmisch Verbindungen zwischen der Struktur von Algorithmen einerseits und der Unterdrückung bestimmter Ethnien, Geschlechter etc. andererseits auf, Teil der Arbeit ist ein Interview mit Dr. Umoja Noble über die Manifestation rassistischer Klischees durch Suchmaschinen. Pinar Yoldas wagt mit einer Videoinstallation einen Blick in das Jahr 2039, in der eine Katze erklärt, welche Gründe und gesellschaftlichen Ereignisse dazu führten, dass sie als Künstliche Intelligenz die Herrschaft übernommen hat.